Ein Münchner Wissenschaftler weigerte sich kurz nach dem Krieg, „einen Artikel über den schwedischen Forscher und Nazi-Kollaborateur Sven Hedin zu schreiben, weil er nicht wusste, welche Haltung am Platze sei“.2 Am Anfang stand also große Unsicherheit. Niemand hat 1945 die Großzügigkeit der Einbindung von NS-Tätern und sogenannten „Verstrickten“ in die bundesdeutsche Nachkriegszeit voraussagen können. Diese Großzügigkeit auf der einen und Frechstirnigkeit auf der anderen Seite forderte um 1960 den Zorn kritischer Intellektueller heraus, die das Ende der ‚Adenauer-Zeit‘ herbeisehnten. So schleuderte Wolfdietrich Schnurre der regierenden politischen Klasse in der Bundesrepublik entgegen:
„Wer aktiven Nazigrößen riesige Pensionssummen auszahlen lässt, während Tausende und aber Tausende jüdischer Menschen noch immer auf ihre sogenannte Wiedergutmachung warten; wer es wagt, einen hauptverantwortlichen Mitarbeiter an nazistischen Rassegesetzen, deren Ausführung Millionen Menschen das Leben gekostet hat, nicht nur zum Staatssekretär zu ernennen, sondern auch noch mit dem Hinweis auf seine Unersetzlichkeit zu decken, der versucht, aus Hitler-Schergen Rentenempfänger und die Inhumanität salonfähig zu machen. Ob wir eine neue Regierung brauchen? Brauchen ist gar kein Ausdruck; wenn wir uns keine erzwingen, sind wir moralisch erledigt.“3