ZIEL DER STUDIE: Die erfasste Inzidenz von invasiven Meningokokkenerkrankungen schwankt in verschiedenen europäischen Ländern zwischen weniger als einem Fall je 100.000 Einwohnern und etwa 7 Erkrankungen je 100.000 Personen. Die wahre Krankheitshäufigkeit zu kennen, ist wichtig, um Prioritäten im Gesundheitswesen zu setzen und um den Nutzen von Interventionen, wie etwa die Impfungen gegen Meningokokken, beurteilen zu können. Eine lückenlose und schnelle Meldung aller Fälle ist auch für das rasche Erkennen von Ausbrüchen erforderlich. Das Ziel dieser Studie war die Überprüfung der Vollständigkeit der Erfassung von invasiven Meningokokkenerkrankungen im Jahr 2002 durch die Nationale Referenzzentrale für Meningokokken. METHODEN: Die Daten der Nationalen Referenzzentrale für Meningokokken wurden mit einer zweiten unabhängigen Datenquelle, den Hauptdiagnosen der verbindlichen Diagnosedokumentation der österreichischen Krankenanstalten (seit 2001 über den ICD-10 zu codieren), verglichen. Fälle, bei denen keine Übereinstimmung gefunden wurde, wurden auf mögliche Fehler überprüft. Dadurch sollten echte Meningokokkenfälle, die von der Nationalen Referenzzentrale für Meningokokken nicht erfasst worden waren, nachträglich identifiziert werden. Mit Hilfe der Capture-Recapture-Methode wurde die Zahl der Fälle geschätzt, die von keiner der beiden Datenquellen registriert worden waren. ERGEBNISSE: Ein erster Abgleich erbrachte 50 Fälle, die von der Nationalen Referenzzentrale für Meningokokken nicht erfasst worden waren. Die Überprüfung der ICD-Codes dieser Patienten durch die Krankenanstalten reduzierte die Zahl der von der Nationalen Referenzzentrale für Meningokokken nicht registrierten Infektionen auf 10 Fälle. In mindestens 6 Fällen handelte es sich um Infektionen mit Krankheitszeichen, die mit den typischen Symptomen einer Meningokokkenerkrankung übereinstimmen, bei denen allerdings die mikrobiologische Bestätigung fehlte (sog. "wahrscheinliche Fälle"). Nach einer gründlichen Re-Evaluierung der Krankengeschichten dieser Patienten durch einen klinischen Experten wurden sie als wahrscheinliche Fälle klassifiziert. In 27 Fällen waren eindeutige Codierungsfehler der Anlass für die Korrekturen. Diese Patienten waren wegen Erkrankungen, die keinen Bezug zu Meningokokkeninfektionen hatten, in stationärer Behandlung. Bei 72 Fällen wurde Übereinstimmung in beiden Datenquellen gefunden. 11 Fälle wurden nur von der Nationalen Referenzzentrale für Meningokokken registriert. Die Zahl der invasiven Meningokokkeninfektionen erhöht sich durch die neuen Fälle von ursprünglich 83 (Inzidenz, 1,03/100.000 Einwohner) auf 93 Fälle (Inzidenz, 1,16/100.000). Die Schätzung der tatsächlichen Erkrankungszahl mittels Capture-Recapture-Verfahren ergab 95 Fälle (95%-KI, 93–98). Diese Schätzung entspricht einer Inzidenz von 1,18/100.000 Einwohnern. Die Vollständigkeit (Sensitivität) der ursprünglichen Erfassung durch die Referenzzentrale betrug demnach 87,4 % (83 von 95 Fällen). SCHLUSSFOLGERUNG: Alle Verdachtsfälle von Meningokokkeninfektionen, auch bei (noch) fehlender mikrobiologischer Bestätigung, sollen möglichst frühzeitig den Gesundheitsbehörden gemeldet werden. Nur dadurch kann gewährleistet werden, dass alle notwendigen prophylaktischen Maßnahmen (z. B. Chemoprophylaxe) rechtzeitig eingeleitet werden.