Obwohl bei HWS-Schleudertraumen des Stadiums 0 und 1 (Einteilung des „Koblenzer Konsensus-Berichts“) strukturelle Läsionen fehlen oder nur minimal nachweisbar sind, tritt bei 10–20% der Betroffenen trotz multimodaler Therapie eine Chronifizierung der Beschwerdesymptomatik ein. In diesen Fällen muss die Frage diskutiert werden, ob ein oder mehrere pathogenetische Faktoren zunächst diagnostisch und später in der Therapie nicht beachtet wurden.
In den letzten Jahren wird kaum mehr bestritten, dass Kiefer- und HWS-Bewegungen einer zentral gesteuerten Koordination unterliegen und eine Kopfgelenkstörung (CCD) reflektorisch zu einer Kiefergelenkstörung (CMD) führt und umgekehrt.
In der vorliegenden Arbeit wird untersucht, ob ein HWS-Trauma eine CMD auslösen kann, die dann ihrerseits die funktionelle Kopfgelenkstörung und die gesamte Beschwerdesymptomatik zu unterhalten vermag. Für diese Fragestellung wurden 187 Patienten mit chronischen Beschwerden nach HWS-Trauma auf eine CMD gezielt untersucht. Mit einfachen funktionellen Tests mit und ohne Kiefergelenkbelastung wurde die CMD zunächst allgemeinmedizinisch diagnostiziert und anschließend zahnärztlicherseits elektrophysiologisch gesichert. In allen Fällen wurde neben der CCD auch eine CMD verifiziert.
Patienten mit anhaltenden Beschwerden nach einem HWS-Schleudertrauma weisen nach den vorliegenden Untersuchungen regelmäßig eine CMD auf. Behandlungserfolge auch bei Patienten, deren Krankengeschichte fünf Jahre und länger zurückzuverfolgen ist, unterstreichen, dass eine Chronifizierung der Beschwerdesymptomatik sicher auch mit einer nicht beachteten Kiefergelenkpathologie erklärt werden kann.