Hintergrund und ZielGrasige Feldraine besitzen in der Agrarlandschaft eine hohe Bedeutung in Bezug auf die Erhaltung standorttypischer Arthropodengemeinschaften, deren Biodiversität und der damit verknüpften Ökosystemfunktionen. Die Struktur terrestrischer Lebensgemeinschaften wird durch anthropogene Beeinträchtigung verändert, was zum Ersatz sensibler durch tolerante Arten führen kann. Vor allem der negative Einfluss von Pestiziden auf Fauna und Flora, die damit verbundenen funktionalen Aspekte (Ökosystemfunktionen) sowie die resultierende Verarmung der Systeme sind für Agrarsysteme seit längerem unumstritten und werden aufgrund der Spray-Drift auch für die angrenzenden Feldraine vermutet.
Die hier vorgestellte Studie untersuchte die Auswirkung nutzungsbedingter Einflüsse wie Mahd, Nährstoffeintrag und Pflanzenschutzmittel auf die Lebensgemeinschaften grasiger Feldraine. Verglichen wurden Referenzflächen, auf denen aufgrund der fehlenden Nutzung im direkten Umland keine Einflüsse auf die Lebensgemeinschaften zu erwarten waren und Nichtzielflächen, auf denen diese nicht auszuschließen waren. Untersucht wurden Standorte in drei Naturräumen: der Jülicher Börde, am nordöstlichen Rand der Leipziger Tieflandsbucht (Dahlen-Dübener Heiden) und im Raum Mainfranken bei Würzburg (Marktheidenfelder Platte). In die Analysen wurden, neben den krautigen und grasigen Vegetationsbeständen, die epigäischen Arthropodenzönosen der Carabiden, Araneen, Collembolen, Hymenopteren, Syrphiden und Coccinelliden sowie abiotische Parameter einbezogen.
Das Ziel dieser Untersuchung war die Entwicklung einer statistischen Methode, die geeignet ist, die Anteile einzelner Einflussgrößen an der Gesamtvarianz von Freilanddaten, unter besonderer Berücksichtigung nicht beobachtbarer Nutzungseinflüsse wie Pflanzenschutzmitteleinträge, mithilfe eines Ausschlussverfahrens darzustellen. Die Extraktion von Restvarianzmustern ermöglichte die Aufdeckung maskierter Effekte auf einer unter dem reinen Abundanzmuster liegenden Skala.
Material und Methoden Die Variabilität im Artenspektrum wurde mithilfe einer nichtmetrischen multidimensionalen Skalierung (NMDS) visualisiert. Indikatorartenanalysen lieferten diejenigen Arten, die als statistisch signifikante Indikatoren für die Standortbedingungen erkannt werden konnten. Der Zusammenhang zwischen der Artzusammensetzung und den Umweltfaktoren wurde mithilfe einer kanonischen Korrespondenzanalyse statistisch modelliert. Durch Varianzpartitionierung war es möglich, den Varianzanteil zu extrahieren, welcher sich an ein Set von Kovariablen binden ließ. Für die verbleibende Residualvarianz konnte nicht ausgeschlossen werden, dass diese auf einen Pestizideinfluss zurückzuführen war.
Ergebnisse Die Analysen zeigten, dass sowohl die Lebensgemeinschaften der Referenzen als auch der Nichtzielflächen in allen drei Naturräumen eine eigene Qualität besitzen und aufgrund der ökologischen Distanz (Bray-Curtis) klar voneinander unterschieden werden konnten. Auf der Basis der Anteile der Variabilität, welche statistisch durch einen nutzungsbedingten Einfluss zu erklären waren, konnten zwei unterschiedliche Richtungen von Reaktionen auf nutzungsbedingte Einflüsse unterschieden werden: zum einen der Rückgang sensibler Arten und zum anderen die Zunahme konkurrenzstärkerer Spezies.
Diskussion Mithilfe der Residualvarianzen konnte ein eindeutiger Einfluss einzelner nutzungsbedingter Parameter auf die Lebensgemeinschaften der Bodenarthropoden sowie der Vegetation unterhalb des Abundanzmusters gezeigt werden. Die in den Rohdaten zu beobachtenden Abundanzverschiebungen wurden auf einen multidimensionalen Faktorenkomplex zurückgeführt, der durch den Einsatz einer partiellen Ordinationstechnik aufgelöst und so der Zusammenhang zwischen nutzungsbedingten Parametern und den beobachteten Veränderungen in den Lebensgemeinschaften quantifiziert werden konnte. Anhand der hier vorgestellten Methode konnte gezeigt werden, dass nach Ausschluss der Kovariablen in den Rohdaten Muster zu erkennen waren, die mit einem Nutzungseffekt korreliert werden konnten.
Schlussfolgerungen Nutzungsbedingte Einflüsse in den Nichtzielflächen nivellierten die naturraumspezifischen Artengemeinschaften in Richtung naturraumübergreifender, ubiquitär geprägter Zönosen. Die Hypothese des Rückgangs sensibler Arten sowie der Zunahme toleranter Arten aufgrund einer Pestizidbeeinflussung konnte gestärkt und quantifiziert werden. Sensible Arten, die in den Nichtzielflächen gegenüber den Referenzflächen zurückgingen, zeigten je nach Naturraum unterschiedlich starke Nutzungsempfindlichkeiten. Ihnen wurde ein größeres Indikationspotenzial zugesprochen als den in den Nichtzielflächen gegenüber den Referenzen zunehmenden, toleranten Arten. Aus der Gruppe der sensiblen Arten konnten mit Pardosa palustris und Poecilus cupreus zwei naturraumspezifische Indikatoren für den maskierten Nutzungseffekt isoliert werden.
Empfehlungen und Ausblick Eine naturraumspezifische Betrachtung der Nutzungseffekte wird aufgrund der unterschiedlichen Empfindlichkeiten der Arten in den Lebensgemeinschaften der drei Untersuchungsgebiete als notwendig angesehen. Die Ausarbeitung und Präzisierung standorttypischer Referenzzustände für terrestrische Agrarsysteme bleibt eine wichtige Aufgabe für die Zukunft. Das vorgestellte Verfahren leitet ein naturraumspezifisches, komplexes Wirkungsmuster anthropogener Beeinträchtigungen auf terrestrische Lebensgemeinschaften ab. Es ist geeignet, maskierte Effekte zu extrahieren und damit beispielsweise einen nachhaltigeren Umgang mit Pflanzenschutzmitteln zu unterstützen. Darüber hinaus bietet es die Möglichkeit zur Validierung von Bewertungssystemen für die Auswirkung von Nutzungseinflüssen auf terrestrische Arthropoden und Pflanzen. Die standortbezogenen, artspezifischen Empfindlichkeitswerte ermöglichen zudem eine regionalisierte Betrachtung ökotoxikologischer Effekte und die Integration in räumlich explizite Effektbewertungsmodelle.