Die Psychoanalyse Sigmund Freuds gehört zu jenen einflußreichen geistigen Bewegungen, deren Impetus sich in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts gegen einen doppelten Mythos richtete: zum einen gegen den Mythos eines vernunftgesteuerten bürgerlichen Fortschritts im Zeichen wissenschaftlichtechnischer Rationalität und Verfügbarkeit, den Freud im Namen eines prinzipiell unverfügbaren Unbewußten infragestellte; zum andern gegen den Mythos von der Prädominanz eines Geistigen schlechthin, wie sie etwa der Deutsche Idealismus postuliert hatte, den Freud im Namen einer prinzipiell unhintergehbaren Leiblichkeit des Menschen widerrief. Für beide (freilich miteinander zusammenhängende) Kritikpositionen, die sich als „materialistisch” bzw. „naturalistisch” charakterisieren lassen, konnte sich der Begründer der Psychoanalyse auf eine Reihe von Vorläufern und Mitdenkern berufen. In der naturalistisch gebrochenen Philosophie Schellings, erst recht in der pessimistischen Welt-Lesart Schopenhauers, in welcher ein dunkler „Wille” über die bewußte „Vorstellung” triumphiert, und in Nietzsches dionysischer Entzauberung des okzidentalen Zivilisationsprozesses waren jene Fundamente der Kritik an einem bürgerlichen Fortschritts- und Vernunftoptimismus gelegt, auf die Freud zwanglos aufbauen konnte.